Soziologie-ein fliegender Holländer? https://soziologiedesunbewussten.blogspot.be/2015/12/blog-post

Soziologie- ein fliegender Holländer?

Mein Artikel aus "soziologie heute", Oktober 2015, s. Blog-Artikel vom 2.12.2015

Samstag, 10. März 2018

Einstein und der Strukturrealismus!

Einstein: Erfahrung und Erkenntnis

Einstein war der größte und kreativste Naturforscher und Denker des 20. Jahrhunderts. Wenn es um Wissenschaft geht, ist seine Perspektive wahrscheinlich interessanter als die der meisten anderen Naturwissenschaftler, inklusive seiner expliziten und impliziten Philosophie.

Für eine sozialrealistisch-wissenschaftliche Perspektive ist es wichtig zu wissen, dass er zumindest implizit ein metaphysischer REALIST war, wie Elie Zahar in seinem Buch „Why science needs metaphysics. A Plea for Structural Realism“ nachweist.

Das bedeutet, dass für ihn Strukturen abstrakte Realitäten sind, wie auch sein Freund und Gesprächspartner in Princeton, Kurt Gödel, der geniale Mathematiker und Logiker (Unvollständigkeitstheoreme) sie als platonischer Realist begriff. Sie waren auch Gegner der materialistisch-naturalistischen Reduktion in den Naturwissenschaften.

Für die von mir skizzierte Soziologie und Methodologie trifft das auch auf soziale Strukturen zu, natürlich auf einer emergenten soziologisch-ontologischen Ebene, die nicht reduzierbar ist auf die Ebene des individuellen Handelns.
Soziale und gesellschaftliche Strukturen werden zwar, wenn sie nicht evolutionär oder unbewusst entstehen (Gruppe/Beziehung/Persönlichkeit), von Ausnahme-Menschen technologisch/politisch/philosophisch/ideologisch gestaltet, aber verselbständigen sich und wirken so als abstrakte Realitäten, die die VerhaltensVERTEILUNGEN innerhalb der jeweiligen sozialen Struktur determinieren.
Da es um probabilistische soziale Naturgesetze geht (wegen der genetisch-individuellen Dispositionen des sozialen, symbolisch gesteuerten Tiers „Mensch“ und damit zusammenhängender evolutionärer Mutationen), ist genügend Erklärungsspielraum für die Veränderungen der sozialen Strukturen.

Subjektive Erfahrungen und die Annäherung an objektive Wirklichkeiten und Realitäten beschrieb Einstein, der wie ich von der Einheit der Wissenschaften ausging, in einem Zeitungsartikel des Berliner Tageblatts 1919 wie folgt:
„Die einfachste Vorstellung, die man sich von der Entstehung einer Erfahrungswissenschaft bilden kann, ist die der induktiven Methode. Einzeltatsachen werden so gewählt und gruppiert, daß der gesetzmäßige Zusammenhang zwischen denselben klar hervortritt. Durch Gruppierung dieser Gesetzmäßigkeiten lassen sich wieder allgemeinere Gesetzmäßigkeiten erzielen, bis ein mehr oder weniger einheitliches System zu der vorhandenen Menge der Einzeltatsachen geschaffen wäre von der Art, daß der rückschauende Geist aus den so gewonnen Verallgemeinerungen auf umgekehrtem rein gedanklichen Wege wieder zu den einzelnen Tatsachen gelangen könnte.
Schon ein flüchtiger Blick auf die tatsächliche Entwicklung lehrt, daß die großen Fortschritte wissenschaftlicher Erkenntnis nur zum kleinen Teil auf diese Weise entstanden sind. Wenn nämlich der Forscher ohne irgendwelche vorgefaßte Meinung an die Dinge heranginge, wie sollte er aus der ungeheuren Fülle kompliziertester Erfahrung überhaupt Tatsachen herausgreifen können, die einfach genug sind, um gesetzmäßige Zusammenhänge offenbar werden zu lassen? Galilei hätt niemals das Gesetz des freien Falls finden können ohne die vorgefaßte Meinung, daß die Verhältnisse, welche wir tatsächlich vorfinden, durch die Wirkungen des Luftwiderstandes kompliziert daß man also Fälle ins Auge faßen müße, bei denen dieser eine möglichst geringe Rolle spielt.
Die wahrhaft großen Fortschritte der Naturerkenntnis sind auf einem der Induktion fast diametral entgegengesetztem Wege entstanden. Intuitive Erfassung des Wesentlichen eines großen Tatsachenkomplexes führt den Forscher zur Aufstellung eines hypothetischen Grundgesetzes oder mehrerer. Aus dem Grundgesetz (System der Axiome) zieht er auf rein logisch-deduktivem Wege möglichst vollständig die Folgerungen. Diese oft erst durch langwierige Entwicklungen und Rechnungen aus dem Grundgesetz abzuleitenden  Folgerungen lassen sich dann mit den Erfahrungen vergleichen und liefern so ein Kriterium für die Berechtigung des angenommenen Grundgesetzes. Grundgesetz (Axiome) und Folgerungen bilden das, was man eine „Theorie“ nennt. Jeder Kundige weß, daß die größten Fortschritte der Naturerkenntnis, zum Beispiel Newtons Gravitationstheorie, die Thermodynamik, die kinetische Gastheorie, die moderne Elektrodynamik usw., alle auf solchem Wege entstanden sind, und daß ihrer Grundlage jener prinzipiell hypothetische Charakter zukommt. Der Forscher geht also zwar stets von den Tatsachen aus, deren Verknüpfung das Ziel seiner Bemühungen bildet. Aber gelangt nicht auf methodisch, induktivem Wege zu seinem Gedankensystem, sondern er schmiegt sich den Tatsachen an durch intuitive Auswahl unter den denkbaren, auf Axiomen beruhenden Theorien. Eine Theorie kann also als unrichtig erkannt werden, wenn in ihren Deduktionen ein logischer Fehler ist, oder als unzutreffend, wenn eine Tatsache mit einer Folgerung nicht im Einklang ist. Niemals aber kann die Wahrheit einer Theorie erwiesen werden. Denn niemals weiß man, daß auch in Zukunft keine Erfahrung bekannt werden wird, die ihren Folgerungen widerspricht; und stets sind noch andere Gedankensysteme denkbar, welche imstande sind, dieselben gegebenen Tatsachen zu verknüpfen. Stehen zwei Theorien zur Verfügung, welche beide mit dem gegebenen Tatsachenmaterial vereinbar sind, so gibt es kein anderes Kriterium für die Bevorzugung der einen oder der anderen als den intuitiven Blick des Forschers. So ist es zu verstehen, daß scharfsinnige Forscher die Theorien und Tatsachen beherrschen, doch leidenschaftliche Anhänger gegensätzlicher Theorien sein können.“
(Zahar 2007: 260/261)
Why Science Needs Metaphysics: A Plea for Structural Realism by Elie Zahar (2006-10-31)
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