Soziologie-ein fliegender Holländer? https://soziologiedesunbewussten.blogspot.be/2015/12/blog-post

Soziologie- ein fliegender Holländer?

Mein Artikel aus "soziologie heute", Oktober 2015, s. Blog-Artikel vom 2.12.2015

Dienstag, 28. November 2017

Prof. Jörg Strübing und der gemeinte Unsinn!

Der Professor hat Angst vor der Wahrheit!
Seine Lebenswelt-Ideologie bricht zusammen, der Kaiser ist nackt!

Einerseits ist seine Zensur erbärmlich, andererseits verständlich, wenn offensichtlich wird, dass das vermeintliche wissenschaftliche Fundament, auf dem man sein professionelles Leben aufgebaut hat, sich als triefendes Löschpapier auf dem Ozean sozialer Realitäten entpuppt.

Als Gestalttherapeut gehe ich professionell anders mit solchen Tragödien um, aber hier geht es um wissenschaftliche Soziologie.
Gestalttherapeuthisch würden wir uns Ihre Lebenswelt, Ihren gemeinten Sinn und Ihre Rationalisierungen Ihres Verhaltens selbstverständlich wohlwollend und ernsthaft gemeinsam ansehen, Herr Prof. Strübing.

Die hilflose Zensur von Prof. Strübing im SozBlog bestätigt mein sozialrealistisches Konzept emotional-ideologischer Komfortzonen und das Basis-Axiom einer wissenschaftlichen Soziologie:
Macht/Gewalt (physisch und psychisch) steuern soziale Prozesse!

Mein nicht freigeschalteter Kommentar zu den darunter nachlesbaren Abstrusitäten zum Thema Wissenschaft des Herrn Professors:

„Lieber Herr Prof. Strübing,

vielen Dank für den Hinweis auf die „Akademie für Soziologie“, deren Gründung einmal mehr den katastrophalen Zustand der Hochschul-Soziologie charakterisiert, die wissenschaftlich „...abgestürzt ist wie ein Computer“, wie Gerhard Wagner das zutreffend formuliert hat.

Ihr Einstein-Zitat und Ihre berechtigte Kritik am Empirismus demonstrieren ungewollt die Absurdität der zeitgenössischen Pluralismus-Ideologie, die Entdeckungs- und Begründungszusammenhang verwechselt, und des postmodernen Sozialkonstruktivismus, den der britische Historiker Geoffrey Elton einmal als „die intellektuelle Entsprechung von Crack“ bezeichnet hat.

Sie bestätigen implizit diese Einschätzung: „Es sind nicht Daten, nicht Gesetze, nicht Normen, die wissenschaftlichen Fortschritt hervorbringen. Nein, es ist das Argument. Es geht um Argumente und als Soziologinnen wissen wir: Es geht um den sozialen Prozess des Argumentierens.“

Der „soziale Prozess des Argumentierens“ ist ebenso wie Normen /Moral/Werte ein GEGENSTAND der Soziologie als Wissenschaft der Sozialität, wie die Gravitation ein zentrales Thema in der Physik ist. Ihn als grundsätzliche, alternative wissenschaftliche Methodologie hochzustilisieren, ist ein Indiz für das absurde, bestenfalls vorwissenschaftliche Theater des Sozialkonstruktivismus. 

Das gilt übrigens auch für die originelle, unterstützende Begründung des Sozialkonstruktivismus durch den Hinweis auf den Kritischen Rationalismus, ein wahrhaft sozialkonstruktivistischer, geistiger Gewaltakt. Wie wär's mit ein wenig SozialONTOLOGIE, Herr Professor?

Einstein, Ihr Wissenschaftsmaßstab, war ein Realist und sein einziger kontinuierlicher Gesprächspartner in Princeton, der geniale Logiker und Mathematiker Kurt Gödel (Unvollständigkeitstheoreme), den Einstein bewundert hat, ein platonischer Realist.

Einstein hat bis zu seinem Tode die „Kopenhagener Deutung“ der Quantenmechanik von Bohr als Irrweg und als falsch bekämpft und das zentrale Thema der aktuellen theoretischen Physik ist die Integration von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie.

Erfolgreiche Wissenschaft besteht in der Entdeckung von ERKLÄRUNGEN vor dem Hintergrund plausibler Theorien, ihrer rationalen Kritik und relevanter Philosophie mit dem Ziel der Vereinheitlichung bestehender Theorien und der Reduktion von Komplexität.

David Deutsch, kritischer Rationalist und Realist (Verfasser der Konstruktor-Theorie), formuliert das so: 
„For most of the history of our species, we had almost no success in creating such knowledge. Where does it come from? Empiricism said that we derive it from sensory experience. This is false. The real source of our theories is conjecture, and the real source of our knowledge is conjecture alternating with criticism. We create theories by rearranging, combining, altering and adding to existent ideas with the intention of improving upon them. The role of experiment and observation is to chose between existing theories, not to be source of new ones. We interpret experiences through explanatory theories, but true explanations are not obvious. Fallabilism entails not looking to authorities but instead acknowledging that we may always be mistaken, and trying to correct errors. We do so by seeking good explanations- explanations that are hard to vary in the sense that changing the details would ruin the explanation. This, not experimental testing, was the decisive factor in the scientific revolution, and also in the unique, rapid, sustained progress in other fields that have participated in the Enlightenment.“ (Deutsch 2011: 32)

Auch Deutsch hält postmodernes „Denken“ und z.B. die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik für schlechte Philosophie.

Insofern ist die Orientierung der „Akademie für Soziologie“ an einem kritischen Realismus ein Schritt in die richtige Richtung.

Seit Weber sind der „methodologische Individualismus“ ebenso wie später der Sozialkonstruktivismus der Postmoderne zu Irrlichtern auf dem Ozean sozialer Realitäten geworden, die mit Leuchttürmen verwechselt werden.

Einen Ausweg aus diesen beiden Sackgassen stellt die Suche nach sozialen Naturgesetzen im Geist Durkheims (nicht zu verwechseln mit der philologischen Buchstaben-Exegese) dar, modernisiert durch die Integration von theoretisch-wissenschaftlichen und historischen Erfahrungen nach seinem Tod 1917 und verbunden mit einer Empirie, die darüber entscheidet, wann eine Theorie weniger erfolgversprechend ist als eine andere (s. a. Lakatos) oder sogar archiviert werden muss.

Dem anthropozentrischen Größenwahn, der soziale, statistisch erfassbare Naturgesetze ignoriert, widersprach Durkheim:
„Auch sie (die Gesellschaft, G.Sch.) entstammt der Natur, obzwar sie sie beherrscht. Weil nicht allein alle Kräfte des Universums in ihr münden, sondern weil allein aus der Synthese dieser Kräfte ein Produkt entsteht, das alles, was zu seiner Bildung beigetragen hat, an Reichtum, Komplexität und Wirkkraft übersteigt. Mit einem Wort, die Gesellschaft ist die Natur, aber die auf dem höchsten Punkt ihrer Entwicklung angelangte Natur, die alle ihre Energien aufbietet, um gewissermaßen über sich selbst hinauszuwachsen.“ 
(Durkheim 1976: 157)

Wie eine sozialrealistisch-wissenschaftliche Alternative in diesem Sinn aussehen kann, deute ich in meinen Artikeln in „soziologie heute“ und in meinem Blog an.“


27.11.17
Strübing:
Was für eine Wissenschaft soll die Soziologie sein?
Die sogenannte „Akademie für Soziologie“ verpflichtet sich der Gesellschaft gegenüber vor allem darauf, eine bestimmte Leistung zu erbringen: Sie will dem steigenden Bedarf nach „verlässlichen Informationen sowie praktischen Handlungsempfehlungen“ [1] nachkommen. Und sie will das unter „Anwendung kontrollierter wissenschaftlicher Methoden“, basierend auf „klar und präzise formulierten Theorien“ und unter Einsatz von „Replikationen“ erreichen. Doch soll das der Kern der Wissenschaftlichkeit unseres Faches sein? Wirklich? Was macht Forschen zu wissenschaftlichem Forschen? Es sind nicht Daten, nicht Gesetze, nicht Normen, die wissenschaftlichen Fortschritt hervorbringen. Nein, es ist das Argument. Es geht um Argumente und als Soziologinnen wissen wir: Es geht um den sozialen Prozess des Argumentierens. Dies zweifelsohne in der „Wirklichkeitswissenschaft“ Soziologie in Auseinandersetzung mit empirischem Material, doch in Zeiten, in denen die Wissenschaften und in Teilen auch die Soziologie sich, getrieben von einseitiger Nachfrage aus Politik, Verwaltung und medialer Öffentlichkeit, dem Ideal der „evidence-based science“ verschreiben, gerät mitunter aus dem Blick, dass Soziologie sich nicht darin erschöpft, möglichst präzise Datensätze über gesellschaftliche Zustände und Prozesse zu generieren. Wer Gesellschaft (und umfassender noch: Sozialität) mit Weber „ursächlich erklären“ will, muss sie eben zunächst „deutend verstehen“. Die dazu erforderlichen Heuristiken gehen weit über Messung und Theorietest hinaus.
Das im Kontext der Akademie-Gründung propagierte Wissenschaftsmodell erweist sich dagegen als geschichtsvergessen und fällt deutlich hinter Weber, aber vor allem hinter den wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskurs der letzten hundert Jahre zurück. Wilhelm Windelband, Wilhelm Dilthey und eben Max Weber haben schon früh deutlich gemachte, dass die mit Sozialität befassten Wissenschaften allein mit einem, wie Windelband es nannte, „nomothetischen“ Wissenschaftsverständnis, wie es in den Naturwissenschaften seiner Zeit große Erfolge feierte, keinen Blumentopf gewinnen können. Inzwischen ist diese Position, angereichert um erkenntnis- und sozialtheoretische Argumente wesentlich weiter entwickelt worden, und es ist längst common sense, dass die Alternative zur nomothetischen oder, wie wir heute sagen würden, hypothetiko-deduktiven Vorgehensweise sich nicht in der kundigen Beschreibung von Einzelfällen erschöpft, sondern in eigenen interpretativen und rekonstruktiven Verfahren besteht, deren konsequente Umsetzung gleichwohl verallgemeinerungsfähige wissenschaftliche Aussagen hervorbringt.
Roger Berger aber schreibt in seinem die Akademie-Gründung vorbereitenden Papier [2], „dass die soziale Welt ein Teil der physischen (chemischen, biologischen, etc.) Welt ist“ und sich daraus „eine methodologische Einheit der Wissenschaften (ergibt)“. Erkenntnistheoretische Grundsätze würden für alle empirischen Wissenschaften gleichermaßen gelten, mithin auch für die Sozialwissenschaften. Dass Menschen aber auch eine symbolische Welt hervorbringen: Macht das denn erkenntnislogisch und wissenschaftstheoretisch keinen Unterschied? Wie kann man Gegenstandsangemessenheit als Gütekriterium vertreten, wenn eine so gravierende Gegenstandsbestimmung unbedacht bleibt?
In den Akademie-Papieren liest es sich so, als sei es die pure Evidenz des empirischen Datums, die Falsifizierung ermöglicht und uns gute von schlechten Theorien unterscheiden lässt. Das aber wäre Positivismus reinsten Wassers, eine Position, die nicht einmal Karl R. Popper unterschrieben hätte, der in Kreisen der kritischen Realisten gerne als Stammvater reklamiert wird. Popper wies schon 1935 in seiner „Logik der Forschung“ auf das Basissatz-Problem hin, das darin bestehe, dass wir keinen unmittelbaren Zugang zur Empirie haben, uns diese vielmehr über Basis- oder Protokollsätze verfügbar machen müssen. Er schrieb dazu: „Logisch betrachtet geht die Prüfung der Theorie auf Basissätze zurück, und diese werden durch Festsetzung anerkannt. Festsetzungen sind es somit, die über das Schicksal der Theorie entscheiden“ (S. 73)[3]. Und er fügt hinzu: „So ist die empirische Basis der objektiven Wissenschaft nichts ‚Absolutes‘; die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland….“ (S. 75) [3]. Tatsächlich lege die Scientific Community fest, welche Sätze über Beobachtungen als gültig anerkannt werden sollen. Also Sozialkonstruktivismus aller Orten, auch schon bei Popper.
Ein (nicht nur) für die Soziologie tauglicher Begriff von Wissenschaft muss nach meinem Verständnis nicht nur die soziale Konstruiertheit jeder wissenschaftlichen Aussage anerkennen, er muss auch plausibilisieren können, wie Wissenschaft zu tatsächlich neuem Wissen kommt. Wie werden eigentlich neue Theorien erzeugt? Popper hat es als Erkenntnislogiker da einfach: Für ihn ist es im Prinzip einerlei, woher die Theorie stammt und wie sie zustande kommt, solange sie nur an der Erfahrung scheitern kann. Und methodologischen Spezialprobleme der Soziologie hatte er ohnehin nicht im Focus. Aber die DFG wäre vermutlich not amused, wollten wir Projekte beantragen, die willkürlich ausgedachte soziologische Theoriekonstrukte empirisch testen wollen. Tatsächlich ist Theoriegenese eine genuine Leistung wissenschaftlicher Kreativität, die schon forschungslogisch anders prozessiert als der klassische Theorietest. Mit methodenmonistischen Positionen a là Carl G. Hempel [4] kommen wir da nicht weiter.
Mit Debatten über purifizierte Methoden vermutlich auch nicht. Wenn wir etwas über die Angemessenheit theoretisch-empirisch-methodischer Zugänge zu sozialen Phänomenen lernen wollen, dann bietet sich vielleicht eher an, was Christoph Deutschmann [5] vorschlägt: Fragen wir doch nach Beispielen für gute und erfolgreiche Studien, die das Wissen der Gesellschaft über sich unbestritten gemehrt hat, und fragen rückwirkend, wie diese Studien zustande gekommen sind. Dann ginge es nicht um methodische Reinheitsgebote, sondern um Ergebnisorientierung.
Es würde sich dann auch sehr schnell zeigen, dass es in diesem Sinne „gute“ empirische Forschung in ganz unterschiedlichen Theorie- und Methodentraditionen gibt. Was dabei als „gut“ anzuerkennen ist, lässt sich freilich nicht an messtheoretisch reduziert verstandenen Gütekriterien ablesen, sondern erfordert einen umfassenderen Zugriff. Fragen von Relevanz, Gegenstandsangemessenheit und Originalität der Forschung sind dabei mindestens ebenso bedeutsam wie die nach empirischer Sättigung und theoretischer Durchdringung.
All das spricht letztlich eher für produktiven Austausch innerhalb unseres Faches als für dessen Aufspaltung in ’sortenreine‘ Teil-Cluster, die unseren Gegenstand als Ganzen gar nicht mehr in den Blick nehmen können.
[2] Berger, R. (2016). Soziologie als theoriegeleitete empirische Sozialforschung: Axiome. Unveröff. Papier, Universität Leipzig.
[3] Popper, K. R. (1994). Logik der Forschung (2., erw. Aufl. ed.). Tübingen.
[4] Hempel, C. G. (1942). The function of general laws in history. The Journal of Philosophy, 39, 35-48.
[5] pers. Kommunikation, Okt. 2017
22.11.17

Strüber:
Mit einem Auge ist man halb blind: Von Einheit und Uneinigkeit der Soziologie
Prolog 
Ich habe ein durchaus emphatisches Verhältnis zu meinem Fach, der Soziologie. Meines Erachtens ist sie –  neben der Sozialanthropologie – die Grundlagenwissenschaft für alle mit Sozialität oder Gesellschaftlichkeit verbundenen Fragen und informiert damit auch viele unserer Nachbarfächer, wie Politologie, Erziehungswissenschaft oder empirische Kulturwissenschaft. Zugleich liefert sie differenzierte und reflektierte Diagnosen der Gegenwartsgesellschaften und ihrer Probleme. Daher lässt es mich nicht unberührt, wenn eine Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern unseres Faches den Begriff für sich reklamieren und ihn dabei inhaltlich so ausdünnen, dass – wie ich behaupten möchte – wesentliche Leistungen und zentrale Funktionsweisen der Soziologie als akademischer Disziplin verloren zu gehen drohen. Um Schaden vom Fach Soziologie in Deutschland abzuwenden, bedarf es dringend einer gründlichen Debatte über einige inhaltliche Grundfragen, aber auch über professionspolitische Strategien. Eine Debatte, die ich mit diesem Blog anstoßen möchte, von der ich mir aber wünsche, dass viele Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichsten Traditionen, ‚Schulen‘ und ‚Lagern‘ unseres Faches ihre Perspektive dazu beisteuern. Und die Debatte sollte nicht auf diesen Blog beschränkt bleiben, sondern auf den Fluren der Institute ebenso stattfinden wie auf Tagungen und in der medialen Öffentlichkeit.
Das erfreuliche an den Wissenschaften ist, dass das Streiten zu ihren vornehmsten Verkehrsformen gehört. Nicht nur ist das Bessere der Feind des Guten, auch die Urteile darüber was als besser gelten soll, gehen häufig und oft mit guten Gründen auseinander und führen im Idealfall zu gelehrten Disputen. Hoffen wir, dass dieser Idealfall auch hier eintritt.
Worum es geht
Wer die Debatten der letzten Monate verfolgt hat, wird wissen, um was es hier gehen soll: Die im Juli diesen Jahres von einer Gruppe quantitativer Sozialforscherinnen und Sozialforscher gegründete sogenannte „Akademie für Soziologie“ hat einerseits zu Recht, aber leider nur implizit, auf Unzulänglichkeiten in der DGS aufmerksam gemacht: Mangelnde Transparenz bei der Gremienbesetzung, wenig ausgewogene Repräsentation der verschiedenen Strömungen innerhalb des Faches in Konzil und Vorstand, mangelnde Repräsentation der Sektionen in der Willensbildung der DGS, aber auch eine übertriebene Politisierung der soziologischen Argumentation mitunter auf Kosten der fachlichen Qualität. All das kann man mit gutem Recht mahnend ansprechen und Abhilfe einfordern. Der Akademie-Initiative [1] aber geht es andererseits nicht einfach um innerorganisatorische Manöverkritik oder um das Ingangsetzen eines organisationalen Reformprozesses. Sie verstehen die Akademie-Gründung als Kampfansage an und Konkurrenz zur DGS – und schrauben dafür dort gleich einmal das Namensschild ab, um es an der neuen eigenen Haustür anzubringen.
Man kann das empörend finden, ich finde es aber vor allem nicht besonders weise. Denn die neu gegründete Akademie verhält sich zur DGS in etwa wie eine Business School zu einer Volluniversität: Ein methodisch, theoretisch und inhaltlich schmales Segment unseres Faches organisiert sich dort in einer Weise, die wesentliche andere Theorieströmungen, Methodentraditionen und Forschungsfelder exkludiert und sich nach Art der Anwendungsforschung auf Wissenstransfer in die Gesellschaft beschränkt. Das wird auf Dauer für die Akademie-Mitglieder wenig  befriedigend sein, lässt aber eben auch die DGS unvollständig zurück. Klüger erschiene es mir, den fachlichen aber auch den professionspolitischen Diskurs innerhalb der DGS neu zu beleben, Widersprüche auszuhalten und produktiv zu wenden.
Methoden-Schisma und Theorie-Monopole: Wege ins Abseits
Mitunter scheint sich der Eindruck festzusetzen, die mit der Akademie-Gründung verbundene Strategie ziele vor allem auf das Methoden-Schisma in der Soziologie und den Sozialwissenschaften insgesamt. Immerhin favorisiert der Gründungsaufruf der Akademie recht eindeutig Forschung mit quantitativen Daten in einer nomologisch-deduktiven Manier. Tatsächlich aber geht es nicht allein um eine Auseinandersetzung zwischen standardisiert-quantifizierenden und qualitativ-interpretativen Methoden. Es geht mindestens ebenso sehr auch um Theorie-Pluralismus in sozial-, wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragen, um die Bestimmung der Aufgaben der Soziologie, die Rolle des Politischen in den Wissenschaften. Es geht um nicht weniger als das Selbstverständnis unseres Faches, der Soziologie.
Ich will das kurz illustrieren: In einem von Roger Berger verfassten Papier [2], das dem Gründungsaufruf voranging und das in Mailinglisten quantitativer Sozialforscherinnen kursierte, wird sorgenvoll konstatiert, das Fach Soziologie könne sich seit seiner Gründung als akademische Disziplin „auf nichts einigen“ und gemutmaßt, dass diese Uneinigkeit zuvörderst aus einem Dissens „über die Grundannahmen zum Gegenstand und zur Methode des Fachs“ resultiert, über Axiome also, die nicht beweisbar sind und einfach nur „akzeptiert oder abgelehnt“ werden könnten. Vermutlich würde niemand in der Soziologie die Diagnose ernstlich bezweifeln. Spannender ist es allerdings zu prüfen, warum dieser Befund zum Ausgangspunkt einer Problembeschreibung gemacht wird, statt ihn für den Ausdruck zentraler Qualitäten der Soziologie als eines multiparadigmatischen Faches zu nehmen. Warum sollte es eigentlich schlecht sein, wenn wir uns in einer Wissenschaft nicht auf eine unbewiesene (weil eben unbeweisbare) axiomatische Grundposition festlegen, sondern eben diese Unentscheidbarkeit zum Ausgangspunkt einer Multiplizität theoretischer Perspektiven auf und methodischer Zugänge zu unseren empirischen Gegenständen machen?
Ein wichtiges Kriterium guter Forschung ist – darauf kann sich vermutlich dann doch das ganze Fach verständigen – die Gegenstandsangemessenheit der verwendeten Methoden und theoretischen Rahmungen. Wenn wir daran festhalten, dann könnte die Soziologie, die die Gründer der Akademie für sich reklamieren, allein solche Gegenstände erforschen, die sich der epistemologischen Perspektive eine „kritischen Realismus“, der Forschungslogik des Theorietests und dem Einsatz quantifizierender Verfahren fügen. Ganz zu schweigen von der absehbaren Beschränkung der theoretischen Perspektive auf Humankapitaltheorien und Rational Choice.
Es spricht aus meiner Sicht also wenig dafür, sich – wie im Beitrittsverfahren zur Akademie vorgesehen – per Selbstverpflichtung auf ein enges Theorie- und Methodenprogramm zu verpflichten. Es will mir auch ganz und gar nicht wissenschaftlich erscheinen, denn eine Wesensmerkmal von Wissenschaften ist doch, dass sie offen dafür sind, sich mit ihren Gegenständen weiter zu entwickeln.
Was ist der Job der Soziologie?
Sollte sich die Soziologie darauf beschränken, Gesellschaften möglichst präzise und vergleichend zu vermessen? Erschöpft sich unsere Aufgabe in so verstandenen Gegenwartdiagnosen von Gesellschaften? Sicher nicht. Es muss auch um nachvollziehende Prozessrekonstruktionen gehen: Wie sind Ungleichheitsverhältnisse entstanden, wie prozessieren sie im Alltag, wie werden sie dort reproziert? Wie hat sich ein bestimmter Sozialtypus herausgebildet? Welche Institutionen haben sich unter welchen Bedingungen entwickelt? In welche Praktiken ist das Alltagshandeln eingespannt und in welchen Situationen wird dieser Zusammenhang reflexiv aufgebrochen? Tatsächlich geht es aber um noch wesentlich mehr. Gerade weil Soziologie ein Teil der Gesellschaft ist, die sie untersuchen will, weil sie sich am Ende auch nur der interaktiven und sprachlichen Mittel bedienen, der Wahrnehmungsweisen befleißigen kann, die auch anderen Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung stehen, weil Soziologie also keinen privilegierten Beobachtungsposten außerhalb des Sozialen zu beziehen vermag, der sie von ihrem Untersuchungsgegenstand entkoppelt: Gerade deshalb muss die Soziologie immer wieder aufs Neue ihre Grundbegrifflichkeiten thematisieren: Was Handeln ist und was Gesellschaft, was wir als Institutionalisierung und was als Habitualisierung verstehen wollen, wie  Individuierung und wie Vergesellschaftung prozessieren, ist nicht in Stein gemeißelt, sondern Gegenstand des fachwissenschaftlichen Diskurses. Dieser generiert unterschiedliche, mitunter gar einander widersprechende Sichtweisen. Ist das movens sozialen Handelns besser in rationalen Wahlakten, in situierten Praktiken, in der Logik sozialer Systeme oder als Ergebnis internalisierter Normen konzeptualisiert? Die meisten von uns werden dazu eine Position haben. Soziologie wird daraus aber erst, wenn es sich dabei nicht um Glaubensbekenntnisse mit Alleinvertretungsanspruch handelt. Mit jeder dieser Perspektiven lassen sich unterschiedliche Aspekte und Dimensionen sozialer Phänomene sichtbar machen. Gerade dieser multiperspektivische Blick auf Gesellschaft scheint mir die Qualität unseres Faches auszumachen.

[2] Berger, R. (2016). Soziologie als theoriegeleitete empirische Sozialforschung: Axiome. Unveröff. Papier, Universität Leipzig.
Jörg Strübingsagt:
Lieber Herr Schlager,
es ist genau wie Sie sagen: „Bedingung der Möglichkeit für das Überprüfen von Theorien ist wiederum, dass es so etwas wie eine beobachterunabhängige soziale Wirklichkeit gibt“. Aber: Nur weil es die Bedingung der Möglichkeit ist, ist es noch lange nicht gegeben. Man kann es sich höchstens Wünschen, aber dasd hilft bekanntlich nicht immer. Was es gibt, sind zumindest sehr unterschiedliche Verständnisse davon, wie der Zusammenhang zwischen Welt/Umwelt und Handelnden/Interaktionen/Situationen beschaffen ist. Die Vorstellung einer universellen Realität ist eine dieser Vorstellungen. Die Idee einer Multiplizität beobachterabhängiger Realitäten, wie sie etwa aus pragmatistischer Perspektive von Mead vertreten wird, ist z.B. eine ganz andere. Beide Vorstellungen haben ihre Vorzüge, aber auch ihre Nachteile, und es lässt sich eben nicht per Setzung entscheiden, welche davon oder welche sonstige Vorstellung zutreffend ist. Wir befinden uns hier im Feld der axiomatischen Grundannahmen und müssen uns für konkrete Forschungen letztlich entscheiden, welcher Perspektive wir folgen wollen. Und wir müssen das offenlegen, also der Kritik zugänglich machen. Was wir aber nicht tun sollten: Die Soziologie qua Entscheid auf eine dieser Perspektiven verpflichten.
Und wir sind uns auch ganz einig, dass empirische Forschung ohne Theorie nicht funktionieren kann, eine Einsicht, die schon Einstein formuliert hat: 
„Aber vom prinzipiellen Standpunkt aus ist es ganz falsch eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen. Denn es ist ja in Wirklichkeit umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet darüber was man beobachten kann.“ [1]
Nun kommt es aber darauf an, welchen Begriff von Theorie wir zugrunde legen und wie wir zu Theorien dieses Typs kommen. Auch da gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Handlungstheorien, Interaktionstheorien und Systemtheorien sind schon mal eine relevante Unterscheidung. Eine andere hat Herbert Kalthoff herausgearbeitet: Er unterscheidet zwischen
„1. Theorien als beobachtungsleitenden Annahmen,
2. Theorien als aus empirschem Mateiral entwickelten Kategorien,
3. Theorien als beobachtbaren Phänomenen.“ [2]
Auch zwischen Sozialtheorien, die in sehr allgemeiner Weise darüber informieren, wie wir uns das Prozessieren von Sozialität und deren Beobachtbarkeit vorstellen können, Theorien mittlerer bzw. begrenzter Reichweite, die über begrenzte soziale Phänomene informieren, und Gesellschaftstheorien, die historische Gesellschafttypen oder -formationen charakterisieren [3].
Und selbstverständlich können Theorien auch Scheitern, vor allem dann, wenn auf ihrer Basis erfolgreichen Handeln bzw. Problemlösen nicht mehr funktioniert.
Und es bleibt die Frage: Wo kommen die Theorien eigentlich her, wie werden sie generiert. Diese Frage bleibt in dem von den Akademie-Gründerinnen als gesetzt betrachteten Modell unterbelichtet.

[1] Einstein zitiert nach Heisenberg 1969: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, München, S.92
[2] Kalthoff, H. (2008). Einleitung: Zur Dialektik von qualitativer Forschung und soziologischer Theoriebildung. In H. Kalthoff, S. Hirschauer, & G. Lindemann (Hrsg..), Theoretische Empirie (S. 8–32). Frankfurt a. M..
[3] Lindemann, G. (2008). Theoriekonstruktion und empirische Forschung. In H. Kalthoff, S. Hirschauer, & G. Lindemann (Hrsg.), Theoretische Empirie (S.. 107–128). Frankfurt a. M..