Soziologie-ein fliegender Holländer? https://soziologiedesunbewussten.blogspot.be/2015/12/blog-post

Soziologie- ein fliegender Holländer?

Mein Artikel aus "soziologie heute", Oktober 2015, s. Blog-Artikel vom 2.12.2015

Sonntag, 1. Juni 2014

Die Soziologen und der Pudding an der Wand!



Warum eine neue, wissenschaftliche Sicht auf soziale Prozesse und Strukturen notwendig ist!
(Re-Kommentar auf Prof. Albrechts Antwort, siehe auch www.soziologie.de/blog)

„Die Frage, auf welcher Ebene “das soziologisch Markante” angesiedelt ist, stellt sich bei jedem Gegenstand von Neuem – und lässt sich bei keinem eindeutig beantworten.“
Der konstruktivistische Zeitgeist schlägt unbarmherzig zu.  Wer die Objektivität von sozialen Strukturen und ihren Wirkungen erforschen will, nach Wahrheit suchen und  wissenschaftliches  Denken in den Sozialwissenschaften zum Maßstab  seriöser Arbeit machen will, muss aufpassen, nicht in eine geschlossene Anstalt eingewiesen zu werden. 

Dass der radikale Konstruktivismus philosophisch betrachtet eine Absurdität darstellt, zeigt z.B. der neue ontologische Realismus von Markus Gabriel. 
Aber das spielt keine Rolle. „Die Soziologie als Dauerkrise“ lautet das fast stolz verkündete neue Paradigma der Soziologie. Man glaubt es kaum, aber aus einem  Defizit wird das Wesen der Soziologie nach heutigen Maßstäben. Entschuldigung, Wesentliches gibt es ja nicht!
Wenn man ein Thema der Soziologie im alten Sinn auf den Punkt bringen will, hat man das Gefühl, in der Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven  und Beiträgen (die natürlich alle gleich relevant sind), wissenschaftlich korrekt formuliert, „einen Pudding an die Wand nageln zu wollen“. 
Hier: „Deshalb gelingt es ihr durch ihre innere Pluralität im Gegensatz zu anderen Sozialwissenschaften, die Komplexität dieser drei Ebenen erstaunlich produktiv im Blick zu halten.“
Die Steigerung von Komplexität, mein Lehrer Luhmann lässt grüßen, ist das Ziel, selbstverständlich nicht die Erkenntnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Dieser Anspruch ist, wie gesagt, zeitgeistgemäß psychiatrieverdächtig.
Radikal "konstruktivistisch" betrachtet Ihr Kollege Wagner und unsere DGS die Soziologie als „erstaunlich abgestürzt“:
"Das (dass keine aktuellen Publikationen zum aktuellen Stand der Forschung soziologischer Wissenschaftstheorie zu finden sind, G.A.S.) ist kein Zufall, denn im Unterschied zu anderen Einzelwissenschaften findet man in diesem Fach noch nicht einmal annähernd eine facheinheitliche Konzeption von Gegenstand und Methode, die man referierend vorstellen könnte. Was man findet, sind viele widersprüchliche Positionen (Braun,2008), die überblicksartig vorzustellen müßig wäre. Man würde damit nur einen Missstand dokumentieren, der offenbar für den Missstand des ganzen Fachs verantwortlich ist. 'Es gibt in diesem Fach derzeit keinen Stand der Erkenntnis', lautet die öffentlichkeitswirksame (Hervorhebung .G. A. S.) Kritik anlässlich des Jubiläumskongresses, den die Deutsche Gesellschaft für Soziologie zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens 2010 in Frankfurt am Main ausgerichtet hatte ( Kaube 2010).
Als wollten sie dieses vernichtende Urteil ( Hervorhebung G.A.S.) bestätigen, ließen kurz darauf Fachvertreter in einer Befragung durchblicken, dass es tatsächlich keinen 'Konsens über das Grundwissen der Disziplin' gibt, was sich in erster Linie mit einer 'fehlenden gemeinsamen wissenschaftstheoretischen Vororientierung im Fach' erklären lässt (Braun & Ganser 2011:171)
Da die Soziologie offenbar wie ein Computer abgestürzt ist,..."  (Wagner 2012:1)

Natürlich sind beide Perspektiven gleichwertig, denn es handelt sich ja um zwei verschiedene Beobachter.

Die Soziologie ist besonders produktiv in der Produktion von Texten und von Komplexität, sicher sinnvoll für die vorwissenschaftliche Phase einer möglichen, wissenschaftlichen Soziologie. Zugegeben, die Soziologie ist noch ein sehr junges Fach und hat das Recht auf Verirrungen.
Und wenn das aus einer gut bezahlten und abgesicherten Position heraus passiert, ist da karrieresoziologisch-interpretativ betrachtet, nichts einzuwenden.
Nur, wenn damit ernsthafte gesellschaftliche Probleme gelöst werden sollen, ist eine solche Selbststilisierung natürlich höchst bedenklich.
Jede empirische Arbeit hängt wissenschaftstheoretisch von der Theorie und der Methodologie ab, die Fragestellungen und Hypothesen liefern.  Auch wenn das naiv implizit passiert, ändert dies nichts an den systematischen Grundlagen. Ansonsten wird  die ideologische Ausrichtung der Empirie und ihrer Ergebnisse gleich mitgeliefert, entweder ideologisch gezielt oder  ohne Selbstwahrnehmung der eigenen emotional-ideologischen Komfortzone.
Auch die Abgrenzung zum naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess gehört sicherlich zur  vorwissenschaftlichen  Phase einer jeden Wissenschaft, die Alchemie führte zur Chemie mit anfänglich großen Widerständen.
Es gilt immer noch Piaget und „Das falsche Ideal einer suprawissenschaftlichen Erkenntnis.“
Der Mensch und sein Geist sind auch Teile der Natur. Insofern ist zu vermuten,  dass es auch in diesem Bereich Gesetze gibt wie im übrigen Teil der Natur.  Sichtbar werden solche Gesetze z.B. im Bereich von Massenpsychologie/Medien/Propaganda und Werbung oder z.B. auf der Interaktionsebene beim Thema „Gruppendynamik“.
Ich war erstaunt als ein Kollege vom BDS ganz entsetzt war, als ich den Begriff „Propaganda“  benutzte.  Dieser Begriff sei doch heute nun wirklich nicht mehr soziologisch brauchbar, meinte er. Bei so viel Realitätsblindheit  ist das Ansehen der Soziologie nachvollziehbar  äußerst gefährdet.

Der Absturz der Soziologie wird verursacht durch das beharrliche Festhalten am „methodologischen Individualismus“, der Strukturen absurderweise durch individuelles Handeln zu erklären versucht, das in Wahrheit umgekehrt TYPISCHERWEISE durch die Struktur determiniert wird. Das  hat nicht einmal etwas mit Dialektik zu tun, sondern ist schlicht zirkulär und erklärt entgegen ihren eigenen Ansprüchen gar nichts. Die interpretative Soziologie verhindert eine klare soziologische Methodologie/Theorie und Distanzierung von der Psychologie und der Psychologisierung sozialer Prozesse.

Die Steigerung von Komplexität und das muntere Produzieren von soziologischen Texten auf der Basis des operativen Konstruktivismus der Systemtheorie führt dazu, dass hierarchisches Denken, den systematischen Unterschied zwischen Regel und Ausnahme und der Sinn für das Wesen eines konkreten, sozialen Prozesses aus dem Blickfeld geraten sind.

Soziale Prozesse werden TYPISCHERWEISE gesteuert durch Macht oder Gewalt (Regel). In Ausnahmefällen kommt es zum reziproken Austausch, entweder zufällig am Rand der Wahrscheinlichkeitsverteilung oder systematisch, wenn die involvierten sozialen Gesetze (Macht/Gewalt)  angewandt werden zur gezielten Gestaltung sozialer Prozesse (s. Brainstorming oder Gestaltung von Gruppen s. “The Difference“ v. Page).

Die mögliche, soziologische Erkenntnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen auf der Basis eines „methodologischen Strukturalismus“ ist dringend notwendig, wenn die politisch-gesellschaftliche Verantwortung für Strukturen wieder ernstgenommen werden soll.