Der "freie Wille" und die moralische Verantwortung!
Als Arbeitersohn, der nach einer 3-Tage-Prüfung, die mein Volksschullehrer meinen Eltern dringend empfohlen hatte, auf das Gymnasium ging, dachte ich eine Zeit lang: "Wenn ich das kann, kann das jeder Arbeitersohn, wenn er sich nur anstrengt und es will."
Was für eine Arroganz eines privilegierten Arbeitersohns!
War es meine Leistung, hochbegabt zu sein, wie sich 20 Jahre später herausstellte?
War es meine Leistung, in diese Familie hineingeboren zu sein, die wenigstens diese Möglichkeit der Prüfung zuließ?
War es meine Leistung, auf den Lehrer Jordan zu treffen, der meine Begabung sah und förderte?
War es meine Leistung, in Deutschland 1952 geboren worden zu sein und in die Zeit hineinzuwachsen, in der sich die Chancen für Kinder aus sozioökonomischen schwachen Familien verbesserten?
Ich kann alle Fragen mit einem eindeutigen "Nein" beantworten. Es war schlicht das Glück des Schicksals!
Man braucht kein hochbegabter Philosoph zu sein, um zu erkennen, dass es realistischer und vernünftiger ist, davon auszugehen, dass es objektiv keinen "freien Willen" gibt, obwohl wir alle subjektiv dieses Gefühl haben.
Die genetische Ausstattung + soziale Umwelt, in der man aufwächst + gesellschaftlich-strukturelle Determination der Gesellschaft, in die man hineingeboren wird, lassen keinen Raum für einen objektiv "freien Willen", jenseits bodenloser intellektualistischer, emotional-ideologisch determinierter Verrenkungen des Verstandes.
Neurobiologie (s. z.B. Robert Sapolsky/Stanford) und die Kognitionswissenschaften legen diesen schon von Spinoza im 17. Jahrhundert rationalistisch begriffenen Sachverhalt heute auch wissenschaftlich-experimentell nahe (s. z.B. Libet-Experiment).
Die moralische Verantwortung entpuppt sich auf dieser Basis als eine Blockade für den gesellschaftlichen Fortschritt und eine menschengerechtere Gestaltung der Gesellschaft.
Der vielbeklagte Hass, Gewalt und die Abwertung anderer Menschen sind die Folge der Ideologie des "freien Willens" und der Moral!
Seit Kant hat der anthropozentrische und antirealistische Konstruktivismus und seine absurde, größenwahnsinnige Reduktion der gesellschaftlich-strukturellem Möglichkeiten auf den "guten Willen" der Menschen offensichtliche, katastrophale soziale Prozesse WISSENSCHAFTLICH unbegreifbar gemacht!
Ich kann einen Serienmörder aus der Gesellschaft entfernen, ohne ihn als Mensch moralisch zu verurteilen, weil er eine Gefahr für andere Menschen darstellt.
Die pathologisch-narzisstische Struktur westlicher Gesellschaften pervertiert gesunden Egoismus und Selbstliebe und verhindert zunehmend (statistische Kausalität) authentische zwischenmenschliche Begegnungen:
